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  • AutorenbildClaudia

Postfeminismus? Ein Manifest.

Aktualisiert: 19. Apr. 2020

Feminismus, ein Luxusproblem? Sollten wir uns nicht um wesentlichere Dinge kümmern? Tja, genau darin liegt das Problem... Mein persönliches Manifest.


Für mich kristallisiert sich die Frage heraus, warum muss oder soll sich eine Frau ständig damit beschäftigen, dass sie eine Frau ist. Warum wird es von der Frau ständig abverlangt, sich mit ihr selbst unentwegt auseinandersetzen zu müssen, sich ständig reflektieren zu müssen und in historisch gesellschaftlichen Diskursen über Frauen geredet und geurteilt wurde oder wird, ohne sie mit einzubeziehen? Ich denke es ist wohl eher keine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung. Das WARUM wissen wir eigentlich schon. Denn der Ursprung des Dilemmas ist wahrscheinlich im Sexismus zu finden. Insbesondere sind heute noch nach wie vor komplexe Verstrickungen vorzufinden. Sexismus, dem vor allem Frauen ausgesetzt sind, und über alle historischen Epochen hinweg aufrechterhalten worden ist. Männer gelten oder galten schon immer als Norm, vor allem weiße, heterosexuelle, privilegierte Männer. Es wird kaum zum Thema gemacht, dass Männer, Männer sind – da sie ja die Norm darstellen – und sich diese Norm vor allem durch Bilder und Sprache sehr gut repräsentiert. Aus meiner Sicht kann dies mit dem Privileg des „Weißsein“ verglichen werden. Die politische Position des „Weißsein“ gilt demnach auch als Norm und wird von diesen Personen selbst nie thematisiert – weil es ihnen/einem zum Teil gar nicht mal bewusst ist – die unbewusste Überlegenheit des „Weißsein“ oder demnach des Patriachats.


Es scheint ambivalent zu sein – denn einerseits werden Frauen insbesondere im medialen Diskurs sichtbar gemacht und objektiviert und andererseits (gleichzeitig) jedoch wiederum „unsichtbar“ gemacht – wie beispielsweise durch Sprache. Frauen seien ja eh mitgemeint, was die meisten hier vergessen – Sprache prägt unsere Wahrnehmung und schafft Realitäten, fällt somit unter Sozialisation und konstruiert gesellschaftliche Wirklichkeit. Wie wäre es eigentlich mal hier die Perspektive umzudrehen? Wie würde es wohl Männern gehen, wenn sie in der Sprache lediglich mitgemeint seien? Und ja, Sprache hat natürlich auch etwas mit Gewöhnung zu tun, immerhin sind die meisten Menschen mit einer rein auf Männer bezogenen Sprache aufgewachsen. Sprache ist aber gestaltbar, denn sie befindet sich in einem ständigen Veränderungsprozess. Aus meiner Sicht ist Sprache durchaus ein bedeutsames Instrument, um Geschlechtergerechtigkeit und Gleichbehandlung vorwärts zu bringen.


Viele Frauen der jüngeren Generation verkörpern sexuelle und ökonomische Unabhängigkeit, haben eine gute Ausbildung genossen und sind durchaus karriereorientiert -interessant für mich gerade, was dieses Wort eigentlich implizieren kann oder impliziert, war Frau vorher leicht nicht karriereorientiert, durfte Frau vorher nicht karriereorientiert sein, muss die Frau denn jetzt karriereorientiert sein (immerhin war der Ehemann ja bis ca. 1975 befugt, das Arbeitsverhältnis seiner Frau einfach so zu kündigen), warum wird so oft betont, dass Frauen nun auch karriereorientiert sind, warum muss sich Frau nach wie vor (meistens) entscheiden, ob Karriere oder Familie, oder doch beides, warum eigentlich nicht der Mann mal zur Abwechslung? Welche institutionellen Strukturen schaffen diese Frage überhaupt, indem hauptsächlich Frauen vor solchen Entscheidungen gestellt werden? Welche Lösungsansätze könnte es hier eigentlich geben?


Frauen bestimmen also demnach selbst über ihr eigenes Leben und sind in der Lage ihr Leben als Individuum selbstständig zu planen. Dies vermittelt vermeintliche Erfolge in der Gleichstellung der Frau und suggeriert vor allem, dass feministische Kritik und Interventionen an (patriarchalen) Herrschaftsverhältnissen nicht mehr notwendig seien. „Feminismus“ hat sich also verschoben bzw. ist mehr zur Aufgabe des Individuums avanciert. Die vermeintlichen Erfolge – also, dass es den Feminismus heute nicht mehr braucht ist scheinbar ein gut verschleiertes Trugbild, denn Patriarchat und männliche Herrschaft bleibt trotz veränderten Bedingungen stabil (es wird nur unter einem „Deckmantel“, der Freiheit und Individualisierung suggeriert, agiert). Und dieses Trugbild bzw. diesen Deckmantel zu entlarven ist nicht leicht. Dabei stell ich mir die Frage, inwieweit ich selbst vielleicht in diesen unbewussten Verstrickungen verhaftet war oder bzw. zum Teil nach wie vor noch bin. Und auch jetzt bin ich wieder in der Situation darüber nachzudenken, über mich als Frau und wie dieses „Frau-sein“ denn funktioniert oder zu funktionieren hat und was es denn bedeutet für mich, in dieser Zeit eine Frau zu sein? Dinge einfach hinzunehmen, um vielleicht den einfacheren oder bequemeren Weg zu nehmen? Unter anderem eröffnen sich für mich hier generell sehr viele Fragen. Sind Gleichberechtigung, Ungleichverhältnisse, Diskriminierung und gendersensible Sprache in unserer Gesellschaft leicht Luxusprobleme? Was wären denn die wesentlichen, die wichtigeren Dinge, um die sich eine Gesellschaft zu kümmern hat?


Auch in meinem persönlichen Umfeld ist es unschwer zu übersehen, dass der Begriff „Feminismus“ bei den meisten sehr negativ konnotiert ist und zumeist als Schimpfwort gebraucht bzw. missbraucht wird. Es macht mich nachdenklich, wenn ich Personen, die sexistische Aussagen tätigen, mittlerweile anspreche - da ich regelrecht die Nase voll habe und ich es viel zu oft hingenommen habe, indem ich häufig weghörte -ich es mir aber nach wie vor überlege, ob ich denn nun was sagen soll oder nicht. Ich weiß ja bereits, welche Reaktionen kommen, nämlich nicht ernst genommen zu werden und als „Feministin“, als Spaßverderberin, abgestempelt zu werden. Und es macht mich unendlich traurig, wütend und es enttäuscht mich, wenn ich von einer Frau in meinem sozialen Umfeld gesagt bekomme, dass ich doch was versäumt habe in meinem Leben, nur weil ich mich für eine Gleichberechtigung der Geschlechter einsetze. Und diese Aussage von dieser Frau hat mir genau diesen vorherrschenden Postfeminismus sehr gut veranschaulicht – Feminismus braucht es ja nicht mehr, denn uns Frauen sind doch alle Optionen offen und wir sind doch eh schon gleichberechtigt. Diese Aussage löst in mir eine gewisse Betroffenheit aus – indem eine Bekannte von mir nämlich behauptet, ich habe etwas versäumt und sich ihren eigenen Verstrickungen scheinbar nicht annähernd bewusst ist oder sie es möglicherweise unbewusst nicht wahrnehmen kann oder möchte.


Ihr Glaube, sie lasse sich doch von den Männern eh nichts gefallen – löse alle Ungleichheiten auf, als ob dies das vorrangige Ziel wäre, sich nichts von Männern gefallen zu lassen? Es geht hier nicht darum, mit dem Finger auf Männer zu zeigen. Nein, es geht vor allem darum, zu erkennen, wie wir zu Mann, wie wir zu Frau gemacht werden….Es sollte vor allem auch hinterfragt werden, was es denn beispielsweise für einen Mann bedeutet, ein Mann zu sein und welchen Geschlechternormen er zu entsprechen hat? So wie Simone de Beauvoir es doch so treffend beschreibt, man wird nicht als Frau oder als Mann geboren, man wird es. Dieses scheinbare Unvermögen oder der Unwille sich mit der eigenen (zugeschriebenen) Position in der Gesellschaft zu beschäftigen und sich zu reflektieren ist für mich sehr schwer bis kaum zu akzeptieren (möglicherweise erscheine ich gerade etwas widersprüchlich, da ich ja eingangs diese ständige Auseinandersetzung mit sich als Frau innerhalb der Gesellschaft mitunter festgestellt und auch kritisiert habe…). Aber vielleicht bin auch zu streng, möglicherweise verlange ich anderen mittlerweile zu viel ab oder setze zu vieles voraus. Eventuell sollte ich manchmal im Gespräch drei Schritte zurück gehen, um herausfinden zu können, welche Bedürfnisse hinter gewissen Aussagen stecken…


Zu beobachten ist, dass insbesondere von Frauen häufig abneigende Haltungen bzw. abwehrende Reaktionen kommen. Ja, Feminismus hatte oder hat auch radikale Ausprägungen oder eben Ansichten – Roxane Gay beschreibt dies für mich so treffend indem sie sagt, der Feminismus ist nicht perfekt, der Feminismus ist eine Bewegung hinter dieser Menschen stehen und Menschen sind nun mal nicht perfekt, denn auch sie machen „Fehler“. Und möglicherweise liegt diese gewisse „Abneigung“ eben gerade bei bestimmten „Vorschreibungen“ oder Ansichten die gewisse Strömungen im Feminismus zum Teil mit sich trugen oder tragen – vielleicht auch ein gewisser „Zwang“ der vermittelt wurde, Dinge nicht mehr hinzunehmen, aufzustehen und gegen Sexismus vorzugehen – in etwa, jede Frau habe sich mit Feminismus zu identifizieren.


Ich denke der Text von McRobbie möchte vielleicht auch darstellen, inwiefern der Begriff, Feminismus, in einem neuen Rahmen eingebettet oder gedacht werden kann/soll. Für mich hängt die „Problematik“ des Postfeminismus vor allem mit den unbewussten Verstrickungen und demnach mit (unbewussten) Privilegien zusammen, die in gewisser Weise auch nur als Frau genossen werden können und die vielleicht durchaus bequem sind. Sich eingehend mit Feminismus zu beschäftigen, heißt vielleicht auch gewisse Privilegien abzugeben und einfach mal hinzuschauen und sich bewusst machen müssen, inwiefern noch immer (patriarchale) Herrschaftsverhältnisse vor allem auf Frauen (ein)wirken und wir sie mitunter maßgeblich selbst weiter reproduzieren.

 

Inspirationstext:


McRobbie, Angela (2016 [2010]): Postfeminismus und Populärkultur: Bridget Jones und die neue Geschlechterordnung, In: ebd. Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes, Berlin.


...und so einige persönliche Erfahrungen... 😉


Buchempfehlungen:

  • Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau.

  • Julia Korbik: Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten.

  • Anatol Stefanowitsch: Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen.

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